Dienstag, November 20, 2007

Der Zahir - Paulo Coelho

Hier mal wieder eine Hörbuchempfehlung v. mir:
Von manchem Rezensenten nicht nur des deutschen Feuilletons hat Paulo Coelho für seine millionenfach verkauften Bücher schon heftige Hiebe einstecken müssen. Sogar der Langeweile wurde er bereits geziehen -- für einen Romancier der vielleicht schlimmste Vorwurf. Die Leser aber zeigten sich bislang von solcher Kritik ebenso unbeeindruckt, wie (nach außen zumindest) Coelho selbst. Im vorliegenden Buch des brasilianischen Bestsellerautors geht es aber immerhin außer um den titelgebenden Zahir, einer bis zur Besessenheit übersteigerten Liebe, auch um das gespannte Verhältnis seines Ich-Erzählers zur Kritik.
Erzählt wird Der Zahir aus der Perspektive eines mittlerweile überaus erfolgreichen Autors, der von den Lesern geliebt und der Kritik gehasst wird. Ersteres, weil er -- ganz nach dem Erfolgsprinzip Coelhos -- seine Leserschaft an seiner Erleuchtung teilhaben lässt, letzteres, weil er sich den angeblich üblichen Regeln des Literaturbetriebs verweigert, den er als ein schmieriges System von Gefälligkeiten und Abhängigkeiten beschreibt. Dass er aber überhaupt zu dem Schriftsteller geworden ist, der er immer hat sein wollen, hat er letztlich allein seiner Frau Esther zu verdanken, ohne deren ebenso kluge wie selbstlose Hilfe er seine inneren Schreibwiderstände niemals überwunden hätte. Und nun ist diese Frau plötzlich fort. Wurde sie entführt, hat sie ihn verlassen? Der Mann, dem ihre Bedeutung für sein Leben und Seelenheil immer deutlicher vor Augen tritt, macht sich auf eine zunächst völlig vergeblich erscheinende Suche -- um am Ende, wir ahnen es, zwar auch die Gesuchte, vor allem aber sich selbst zu finden.
Was soll man sagen? Der Zahir wird ganz sicher wieder ein Weltbestseller. Und, ganz ehrlich: Wir gönnen es ihm! Das Feuilleton freilich wird sich aller Voraussicht nach auch dieses Mal nur mäßig begeistert zeigen. Und die nicht ganz unberechtigte Kritik, der Autor habe sein immer gleiches Thema nun vielleicht doch einmal erschöpft, wird an Coelho abperlen, wie die Male zuvor. Schade eigentlich, es sollte ihm Ansporn sein. Doch, so wird er sich sagen, Millionen Leser können nicht irren. Er sollte es besser wissen.
Der Zahir ist die Geschichte einer Suche. Sie handelt von der Beziehung zweier Menschen, die im gleichen Abstand wie Eisenbahnschienen nebeneinanderher leben und einander verlieren. Eine gleichnishafte Erzählung über eine innere und äußere Reise, an deren Ziel jeder sich selbst findet - und vielleicht auch wieder die Liebe. Dies ist die Geschichte eines Mannes, dessen Frau verschwindet. Alles hält er für möglich - Entführung, Erpressung, nur nicht, daß Esther ihn ohne ein Wort verlassen, sich ihm entzogen haben könnte. Die Irritation, die sie verursacht, ist so stark wie die Anziehung, die sie ausübt. Was für eine Form des Lebens führt sie, welches besondere Glück ist ihr, fern von ihm, beschieden? Das Verschwinden von Esther gerät zu etwas, das die Gedanken des Mannes bis zur Besessenheit ausfüllt; es erlaubt auch keine Nähe zu der schönen Marie, die sich in ihn verliebt hat. Der Mann weiß, nur wenn er Esther findet, kann er die Obsession überwinden.

Eine Stelle, die mich besonders beeindruckt bzw zum Nachdenken angeregt hat:
"Marie, stell dir einmal vor, zwei Feuerwehrleute gehen in einen Wald, um ein kleines Feuer zu löschen. Als sie wieder herauskommen und an das Ufer eines Baches gelangen, ist das Gesicht des einen mit Ruß bedeckt und das Gesicht des anderen vollkommen makellos. Ich frage dich: Welcher der beiden wird sich das Gesicht waschen gehen?" "Das ist eine alberne Frage: natürlich der, dessen Gesicht voller Ruß ist." "Falsch: Derjenige, dessen Gesicht voller Ruß ist, wird den anderen anschauen und denken, er sähe genauso aus wie der andere. Und umgekehrt. Der mit dem sauberen Gesicht wird sehen, dass sein Kamerad voller Ruß ist, und sich sagen: Ich muss auch dreckig sein, ich muss mich waschen." "Was willst Du damit sagen?" "Ich will damit sagen, dass ich im Krankenhaus begriffen habe, dass ich mich in allen Frauen, die ich geliebt habe, selber gesucht habe. Ich blickte in ihre sauberen, schönen Gesichter und sah mich darin widergespiegelt. Sie hingegen schauten mich an und sahen die Asche, die mein Gesicht bedeckte, und mochten sie auch noch so intelligent und noch so selbstsicher sein, am Ende sahen sie sich in mir widergespiegelt und hielten sich für schlechter, als sie waren. Bitte, lass nicht zu, dass dies mit dir geschieht."

In Buenos Aires ist der Zahir eine gewöhnliche Münze [...] In Gujarat, gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, war der Zahir ein Tiger; in Java ein Blinder aus der Moschee von Surakarta, den die Gläubigen steinigten; in Persien ein Astrolabium, das Naidri Shah auf den Meeresgrund versenken ließ; in den Verliesen des Mahdi, um 1892, war er ein kleiner Kompass, der in einer Turbanfalte steckte und den Rudolf Carl von Slatin angefasst hatte ... (Seite 57)Dem Schriftsteller Jorge Luis Borges zufolge entstammt die Vorstellung vom Zahir der islamischen Tradition und kam wahrscheinlich um das 18. Jahrhundert auf. Zahir bedeutet auf arabisch sichtbar, gegenwärtig, augenfällig. Eine Sache oder Person, welche, sind wir erst einmal in Kontakt mit ihr getretenm, ganz allmählich unsere Gedanken ausfüllt, bis wir uns auf nichts anderes mehr konzentrieren können. Dies kann als Heiligkeit oder als Wahnsinn aufgefasst werden.

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